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05.10.2008

Erbe der Manege

DIE ZEIT Nr.6 3. Februar 2005

Erbe der Manege

Filip Geier-Busch ist 22 Jahre alt, ausgebildeter Informatiker – und Direktor des Zirkus Busch-Roland

Von Sandra Irlenkäuser

Ein letztes Mal hebt sich der Vorhang zur Manege. Tusch! Auftritt aller Artisten. Grell glitzert das Kleid der Schlangenfrau im Scheinwerferlicht, der Löwenbändiger lässt die Peitsche knallen. Es war eine große Show, Tiger, Löwen, Elefanten und der Zauber von Zuckerwatte und bunten Lichtern. Das Publikum klatscht. Zwischen den Artisten steht einer, der nicht glitzert oder funkelt. Er trägt einen grauen Anzug, de ein bisschen zu eng ist, dazu eine gestreifte Krawatte und ein blondes Kinnbärtchen — ein großer Junge, der sich an einem Mikro festhält. In der vorletzten Reihe zupft ein Mädchen seinen Vater am Ärmel: »Papa, wer ist das?« De Junge in der Manege sagt leise in den Applaus: »Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kinder. Der Zirkus Busch-Roland wünscht Ihnen einen sicheren Heimweg.« — »Der Zirkusdirektor«, sagt der Vater in der vorletzten Reihe.

Ich mach's nicht mehr, sagte sein Vater. Willst du übernehmen?

»Ich bin nicht so der Entertainer«, sagt Filip Geier-Busch von sich selbst. Er ist 22 Jahre alt. In dem Alter entscheiden sich andere, das Vordiplom noch ein Semester aufzuschieben. Geier-Busch ist verantwortlich für 60 Mitarbeiter, 3 Elefanten, ein halbes Dutzend Kamele und etwa 40 weitere Tiere. Er leitet ein mittelständisches Unternehmen, das ständig von Stadt zu Stadt zieht, stellt Shows zusammen, engagiert Artisten und kämpft gegen die Konkurrenz.

Am Morgen nach der Vorstellung sind die bunten Lichter aus. Über den matschigen Platz schlurfen Menschen in Jogginganzügen und holen sich im Restaurantwagen ihren Kaffee. Filip Geier-Busch krempelt die Ärmel bis zu den Ellenbogen hoch. »Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Zirkusdirektor werde«, sagt er. »Jedenfalls nicht so früh.« Als der alte Direktor, krank wurde, sagte er: »Ich mach's nicht mehr«, erinnert sich sein Sohn. »Dann hat er mich gefragt: Willst du übernehmen?« Filip bittet seinen Vater um drei Tage Bedenkzeit.

Der Zirkus ist seine Kindheit. In der Manege lernt er als kleiner Junge jonglieren und in einem Wohnwagen mit den anderen Artistenkindern lesen und schreiben. Doch die Zeiten sind hart, irgendwann gehen der Zirkusschule die Schüler aus. Die Eltern schicken Filip zu Verwandten in ein Dorf in Süddeutschland. Zum ersten Mal in seinem Leben bleibt er längere Zeit an einem Ort, geht jeden Tag denselben Weg zur Schule, findet Freunde am Ort. Seine Eltern wollen, dass er etwas An-ständiges lernt. »Damit er was in der Hand hat«, sagt seine Mutter. Filip lernt programmieren, wird staatlich geprüfter technischer Assistent für Informatik. In einem Praktikum ist er für ein Netzwerk von 60 Computern verantwortlich, die Arbeit macht ihm Spaß. Nach der Ausbildung geht er trotzdem erst mal zurück zum Zirkus. »So lange in einer Stadt, das macht mich nervös«, meint er. Dann wird sein Vater krank.

Filip Geier-Busch muss auf einmal eine Wahl treffen. Soll ich das Familienunternehmen übernehmen? Die Tradition fortsetzen? Oder eigene Wege gehen? In diesem Jahr werden nach einer Schätzung des Instituts für Mittelstandsforschung 71.000 potenzielle Nachfolger in Unternehmen solche Fragen beantworten müssen. Die eigenen Interessen, das Wohl der Angestellten, die Wünsche der Väter – dazwischen einen Kompromiss zu finden ist schwer. Nicht immer geht das gut. Das Institut rät Unternehmern, einen Notfallplan vorzubereiten — falls der Sohn nicht weitermachen will.

Als kleiner Junge wollte Filip Geier-Busch nicht zum Zirkus. »Andere Kinder träumen davon, Clown zu werden«, sagt er. »Ich nie.« Filip wollte damals in einer Bank arbeiten oder Goldschmied werden. Auf jeden Fall nicht dasselbe wie sein Vater. Später kam das Interesse für Computer. Zirkusdirektor — das ist nicht gerade ein Traumjob für einen Informatiker. Und auch kein lukrativer: Wer heute noch einen Zirkus betreibt, tut das nicht, weil er damit ein gutes Geschäft macht. Es spricht viel dafür, einfach nein zu sagen. Doch er ist auch der letzte Spross einer Familie, deren Leben schon immer in der Manege spielte. 120 Jahre Jubiläum feierte Busch-Roland vergangenes Jahr. Und an seiner Entscheidung hängen Arbeitsplätze. Viele dieser Menschen kennt er schon, solange er denken kann. Kann man das einfach beiseite schieben? Filip Geier-Busch wählt ein Leben als Zirkusdirektor. »Wenn ich es nicht mache, wer dann?«, sagt er.

Im kalten Zelt riecht es nach Sägespänen, der Zeltmeister repariert einen Riss, den der Sturm in die blaue Plane gerissen hat. Als er Geier-Busch kommen sieht, zieht er die Mütze vom kahlen Kopf und deutet lächelnd eine Verbeugung an. »Der Herr Direktor!« Die beiden Männer wechseln ein paar Wort auf Polnisch. Filip Geier-Busch spricht Englisch, Tschechisch, Polnisch und Russisch — so gut, dass er sich ohne Probleme mit den Artisten und Zirkusarbeitern unterhalten kann.

Er ist jetzt der Boss, sagt »meine Leute« und »wir«, wenn er vom Zirkus spricht. Und auch wenn einige seiner Leute ihn schon als Kleinkind kannten: »Wenn ich was sage, dann passiert das auch.« Im Elefantenzelt scharren die großen Tiere mit den Füßen. »Sind die Möhren angekommen?«, fragt Geier-Busch den Dompteur. Der nickt. »Wie geht es dem Raubtierbändiger?«, fragt er. Vor zwei Tagen hat ihm der Löwe einen Hieb mit der Tatze versetzt. Er hat die Vorstellung noch zu Ende gebracht, sich danach verbinden lassen. Jetzt ist er im Krankenhaus, zur Nachuntersuchung. »Die Show muss weitergehen«, sagt Geier-Busch.

Seine Artisten kannten ihn schon als Kleinkind

Die meiste Arbeitszeit verbringt er nicht bei den Raubtieren oder den Kamelen, sondern im Büro. In dem Wagen mit den Kassen hat er einen Verschlag, so klein, dass nur einer hineinpasst. Ein Laptop, Fotos seiner kleinen Schwester und jede Menge Aktenordner mit Aufschriften wie »Bilanz«, »Steuern«, »Verträge«. »Papierkram ist der größte Teil der Arbeit«, sagt er. Ein Zirkus zahlt wie jedes andere Unternehmen Steuern und Strom, muss mit der Stadt verhandeln, wann und wo er sein Zelt aufstellen darf. Das ist dann meist nicht mehr auf dem Marktplatz wie früher, sondern irgendwo am Stadtrand. Hierher, nach Dresden, kommt der Zirkus Busch-Roland jedes Jahr zu Weihnachten, ansonsten reist er quer durch den deutschsprachigen Raum. »Luxemburg ist schön«, sagt Geier-Busch. »Da kommen die Leute noch richtig gern. »Wenn das Zelt mit 400 Leuten gefüllt sei wie gestern Abend, sei das okay, sagt er. Es passen mehr als dreimal so viele hinein.

Als neuer Chef hat Filip erst mal die Mannschaft verkleinert. Dann hat er schnellere Wagen gekauft, damit der Zirkus auch über die Autobahn fahren darf, nicht nur über die Landstraße. Im Moment plant er die Tournee für 2009, bis dahin stehen alle Stationen fest. »Die großen Zirkusse sprechen untereinander die Reiserouten ab«, sagt er. Etwa zehn sind das, Roncalli vorneweg. Doch der Rest der etwa vierhundert anderen in Deutschland ist unberechenbar. »Die Kleinen bauen einfach irgendwo ihr Zelt auf«, sagt er. Wenn er Pech hat, kommt so ein Zirkus genau vor ihm in die Stadt und verdirbt das Geschäft. »Ich kann die Leute ja nicht von der Straße weg in mein Zelt zerren«, sagt er und lacht, »wenn ich es könnte, ich würd´s tun.« Die Preise für die Kinder hat er schon gesenkt. Die Erwachsenen zahlen 11 Euro für einen Rang und 29 Euro für einen Logenplatz direkt an der Manege. Kino ist billiger.

Wer Geier-Busch fragt, welchen Wunsch er gern frei hätte, muss lange auf die Antwort warten. »Wie Roncalli müsste man es machen«, sagt er schließlich. Busch-Roland müsste zum Markennamen werden, den die Leute kennen. »Das Wort Zirkus hat schon längst seine Magie verloren.« Doch Filip Geier-Busch glaubt nicht an solche Träume. Er ist Direktor — und das will er sein Leben lang bleiben. »Jetzt habe ich mich dafür entschieden, jetzt mache ich das auch.« Sollte er mal einen Sohn haben, könnte der sein Nachfolger werden, sagt er. »Aber vielleicht will der ja etwas ganz anderes machen.«

Foto: Gerhard Westrich für DIE ZEIT